The inner landscape: Spurensuche in Aquarell

Der Arbeitsplatz

Jeder trägt eine Vision seiner „inner landscape“ tief in sich…

Bergfexe weghören! Denn eins ist klar, inner landscapes sind flach, ausnahmslos. Und sie sind blau. Warum ist das so? Und was, zur Hölle, meine ich eigentlich mit inner landscapes?

Die Hauptfarben Ultramarinblau und Siena gebrannt - ideal für inner landscapes!
Zwei meiner Alltagshelden: Ultramarinblau und Siena gebrannt, benannt nach der italienischen Stadt Siena.

Blau: die Farbe für kühle Tage

Die Richtung ist unabwendbar: kühler wird’s! Das ist nicht nur ein Grund, Haube und Tussimont aus dem Schrank zu kramen, sondern auch kühlere Bildmotive anzudenken. Wie wäre es mit einer Landschaft, die vor Bläue nur so trieft?

Das Erbe der Savanne

Das erinnert mich an die zwei russischen Maler, Vitaly Komar und Alexander Melamid, denen die 90er-Jahre so langweilig erschienen, dass sie eine Studie in Auftrag gaben. In über zehn Ländern sollte erhoben werden, wie das Lieblingsbild des Durchschnittsmenschen aussähe. Das Ergebnis war nicht sonderlich überraschend: eine Landschaft mit Wasser. Dazu eventuell Menschen und Tiere. Überraschend war vielmehr, dass diese Landschaft überall ähnlich aussah, ob in Kenia, China oder Island. Blauer Himmel, blaues Wasser, weite Flächen ohne Berge. (Was wohl die Tiroler dazu sagen?) Die Landschaft erinnert an die afrikanische Savanne, nur ohne Wasser: überschaubar, beherrschbar, mit viel Raum. Kein Unterholz, kein Platz für Geheimnisse. Das offene Grasland lässt einen gemütlich vor sich hinträumen. Und immer wieder tauchte Blau als Hauptfarbe auf. So kamen Evolutionsforscher zur Vermutung, dass sich diese Urlandschaft tief in unsere DNA eingegraben und eine Art „inner landscape“ geformt hat. Unser „inneres Paradies“ ist also ein ererbtes Gut.

Schritt 1: Blue mountains – blue paradise

Mein inneres Paradies ist demzufolge auch in Blau gehalten. Zu allererst leime ich ein 100grammiges Ingres-Papier mit Tapetenkleister auf eine Holzplatte. Trocknen lassen. Dann suche ich mir den Horizont. Beinahe egal, wo – Hauptsache, nicht in der Mitte. Das käme nicht so gut. Dann wird die obere Seite mit einem flachen Pinsel mit Wasser benetzt. Eine Mischung aus Ultramarinblau und Siena gebrannt wird mittels eines kleinen Schälchens auf die linke Ecke gegossen und darf dann sanft auf der feuchten Fläche verlaufen.

Die erste Farbschicht der inner landscape wird aufgetragen
Die Farbe sorgfältig mischen und nicht mit Pigmenten geizen. So kommst du deiner inner landscape auf die Spur…

Schritt 2: Verläufe erzeugen durch die Kipp-Technik

Dann wird die Platte gekippt
Die Farbe den Horizont entlang auftragen und das Brett nach oben und unten kippen
Die Farbe rinnt auf das Handtuch
Geduldig die Farbe hin- und zerfließen lassen – dadurch bilden sich Granulationen
Mit einem Taschentuch wird getupft
Sobald sich alles beruhigt hat, mit einem Taschentuch die dunkle Farbe von oben nach unten trockentupfen

Schritt 3: Baumstämme mit Taschentuchkanten zaubern

Man muss genau den richtigen Moment erwischen, um in diese dunkelblaue Hügel-Baum-Schicht in der Ferne die hellen Baumstämme hinein zu zaubern. Die Farbschicht muss bereits am Wege der Trocknung sein, aber eben noch nicht trocken. Falte ein Taschentuch auf und sauge mit der sauberen (!) Kante zarte Baumstämme aus der Farbfläche. Nach kurzer Übungsphase klappt das ganz vorzüglich, du wirst sehen. Üben kannst du das fast bei jeder inner landscape.

Der Küstenstreifen wird angedeutet
Dann mischt du etwas Neutraltinte zu der Ur-Mischung und lässt die Grasuferlandschaft entstehen. Sie malt sich fast von selbst in den feuchten Untergrund.
Nass in nass setzen wir die sienabraune Farbe in die inner landscape
Nur eine zarte Kontrolle ist notwendig, damit die Graslandschaften deiner inner landscape sich nicht allzu üppig ausbreiten.
mit einem Kleenex wird Farbe aufgesogen
Sollte mal eine Farbe auslaufen, wo das nicht geplant war, kannst du mit einem Taschentuch Farbe „abpressen“ – no problem!

Schritt 4: Gedämpftes Sonnenlicht erzeugen

Erst wenn der blaue Himmel getrocknet ist, kannst du mit einer gelben Aquarellfarbe die verhangene Sonne hineinmalen.

Die abendlichen Sonnenstrahlen
In den feuchtblauen Himmel malst du gelbe Schlieren, die eine zögerliche Sonne simulieren
Mit einer Wasserspritze wird die Sonne, die auf deine inner landscape scheint, gesprüht
Sprühe Wasser in die Richtung, wohin die Sonnen-Farben verlaufen sollen
dunkelblaue Aquarellfarbe wird im Wasser aufgetragen
Und wieder ein Guss Ultramarinblau & Siena gebrannt
Wieder wird mit einem Taschentuch trockengetupft
Eine dunkle Wolke mit einem zerknüllten Taschentuch „heraustupfen“ – die inner landscape nimmt Formen an.
Das Aquarell der inner landscape auf meinem Arbeitsplatz im Atelier. Dicke Handtücher schützen die Tischfläche.
Wichtig ist, dass du dir zwei dicke, alte Handtücher unter deine Platte legst. Nur so kannst du unbekümmert vor dich hinplantschen! 🙂