The Kirschblüten-Story, Folge 1628 (Acrylmalerei)
Nüchtern betrachtet, lässt sich die Frage, warum schon wieder ein Kirschblüten-Post erscheint, wo doch schon letzte Woche ein rundum rosa watteweiches Kirschblüten-Bild dem geschätzten Publikum gezeigt wurde, gar nicht so leicht beantworten. Vielleicht hilft ein Glas Rotwein. Zweigelt lieblich. Vom Billa. Um wohlfeile 3,49.
Das Glas in der linken Hand, tippe ich nun die Antwort auf die von niemandem wirklich gestellte Frage mit der rechten im Polizisten-Zeige-Mittelfinger-Ballett: „Weil Kirschblüten einfach unwiderstehlich hübsch sind und sich wahre Exzellenz im Kirschblüten-Bilder-Erstellen erst nach gefühlten 200 Probebildern zeigen will.“
Der Charme der Übung
Ja, Üben, richtig gelesen. Auch wenn ich immer und immer wieder davon schreibe, sich zu entspannen und der Perfektion den Rücken zu kehren, so kann ohne geduldiges Üben nichts Gescheites entstehen. Wer prinzipiell nicht gerne übt, für den ist das Malen und Zeichnen kein geeignetes Feld zum Glücklichwerden. Der oder die gehe lieber an den Strand flanieren oder fernsehen. 🙂 Wenn du bis hierher gelesen und Lust hast, das zweiteilige Kirschblüten-Bild mit Acrylfarben selbst in die Wirklichkeit zu bringen, dann zeige ich dir, wie das Dyptichon funktioniert. Laut Wikipädia waren Diptychen ursprünglich paarweise zusammenhängende Schreibtäfelchen aus Holz oder Metall, deren vertiefte Innenflächen mit einer Wachsschicht bedeckt und mit einem Metallstift zu beschreiben waren. Aber nun verwendet man diesen Ausdruck für alle Bilder, die aus zwei Teilen bestehen. (Im Gegensatz zum Tryptichon, wo drei Bilder ein Ganzes ergeben.)
Du brauchst für die Kirschblüten:
- Vorgrundierte Leinwand, 70 x 50 cm
- Acrylfarben: Siena gebrannt, Umbra gebrannt, Purpel Kadmiumgelb
- Haar- und Borstenpinsel
- Malfetzerl (wir verabschieden uns an dieser Stelle von den Sehern auf 3-Sat)
- Zeit (insgesamt etwa 6 Stunden, je nach Übungsgrad)
Schritt 1: Kirschblüten Äste skizzenhaft mit dunkler Acrylfarbe anlegen
Ein Merkmal der Äste des Kirschbaums ist das Knorrige, das Unregelmäßige. Vermeide also glatte „Schlangen“ als Äste, sondern versenke dich in den Anblick echter Bäume. Du wirst bemerken, dass es kaum „Schlangen-Äste“ mit weichen Kurven zu sehen gibt! (Wenn du allerdings eine dekorative, eher grafische Illustration probieren willst, kannst du natürlich auch mit Schlangenlinien experimentieren.) Hier halten wir uns aber näher an der Realität. Schreck dich bloß nicht, wenn die Äste anfangs etwas unbeholen wirken. Der Borstenpinsel, mit dem du das Umbra gebrannt aufträgst, zieht manchmal etwas ungleiche Linien. Das verbesserst du in den nächsten Schritten, indem du Schatten und Glanzlichter malst.
Schritt 2: Herabfallendes Licht modelliert den Kirschblüten-Ast
Jetzt mischt du dir ein etwas bräunliches Rosa (Purple mit Weiß und Umbra gebrannt) und setzt damit die Stellen, auf die das Licht fällt (hier von oben). Folge den Unregelmäßigkeiten der Rinde, was heißen soll, dass du das Rosa unregelmäßig aufträgst.
Schritt 3: Es regnet Kirschblüten!
Nun streust du mit schwungvoller Geste die Blüten ein! Happy Flowering! 🙂 Mische dir auf einer Palette drei unterschiedliche Schattierungen von Weiß und Purple, diesmal natürlich ohne Umbra. Eine Kirschblüte hat eigentlich 5 Blütenblätter. Wenn du mal ein sechstes dazupinselst oder eine vierblättrige Blüte malst, ist das auch kein Malheur. Hauptsache, du verkrampfst dich nicht. Male zuerst die 5 Blütenblätter in einem kräftigen Rosa, lasse die Schicht trocknen und male dann mit einer weißen Acrylfarbe die hellen Stellen zügig darüber. Zügig, damit du nicht in ein krampfiges, kleinteiliges Dahingepitzel verfällst. Es geht hier nicht um eine botanische Illustration, bei der jede Pflanzenfaser sitzen muss, sondern um den Eindruck einer flockigen, heiteren Kirschblüte. Lass den Pinsel tanzen, lockere dein Handgelenk. Mach dir Musik! 🙂
Tipp: Arbeite von links nach rechts (wenn du Rechtshänder/in bist), damit die Blüten Zeit zum Trocknen haben und du dir die fertig gemalten Kirschblüten nicht verschmierst.
Schritt 4: Gelbes Entzücken
Danach bekommen alle Kirschblüten ein Herz aus violetter Acrylfarbe. Meine trägt den Namen Purple, du kannst aber die Farbe deines Vertrauens (und dein Auge und Herz) benutzen (und: nein, das ist jetzt kein Affiliate 😉
Mit einem sehr dünnen Haarpinsel malst du von innen nach außen die einzelnen Staubfäden (nimm lieber keinen Stift, das sieht immer etwas bizarr aus!). Oben auf den Staubfäden sitzen die runden, sattgelben Staubbeutel. Diese malst du als kadmiumgelbe Tupfen. Du brauchst diese Acrylfarbe nicht zu verdünnen, da sie sehr intensiv sein muss.
Schritt 5: Gleißende, glitzernde Goldgelüste
Ich bin eine große Freundin des Experimentierens. Das brachte mich dazu, es Karl Lagerfeld gleichzutun, der seine (gar nicht so faszinierenden) Mode-Illustrationen gerne mit Lidschatten kolorierte. Ein billiger Goldglimmer-Eyeshadow leistet mir hier hervorragende Dienste. Vorsichtig auf die Blütenblätter aufgetragen, gibt er den Kirschblütenzweige den letzten Kitsch-Schliff (was für ein Zungenbrecher!). Zu sehen sind die güldenen Verschönerungen nur, wenn du dich dem Bild schräg annäherst. Mein Dyptichon wird im Stiegenhaus der wunderhübschen Tamara hängen, wo sie höchstwahrscheinlich, wenn sie morgens die Treppe hinunterschwebt, einen schrägen Seitenblick auf die Kirschblüten-Äste erhaschen wird. Und daher hoffentlich in den Genuß des Geglitzers kommen wird. 🙂
Bei all dieser Konzentration auf herabregnende Kirschblüten steht mir direkt der Sinn nach dem Dichten eines Haikus. Daher mach ich mich jetzt mal auf den Weg in den Garten. Denn Computer und Haiku, das will einfach nicht zusammen passen!
🙂